Am 20. November wird in Brasilien der Tag des Schwarzen Bewusstseins begangen. An diesem symbolischen Datum, welches schon lange gefeiert wird, aber erst seit 2003 ein offizieller Feiertag ist, gedenken die Menschen des langen Weges zur Freiheit, den die aus Afrika stammenden Gemeinschaften in Brasilien, in der Diaspora und auf der ganzen Welt beschreiten mussten, und noch immer beschreiten.
Das Datum ist der Todestag von Zumbi dos Palmares (1665-1695), schwarzer Anführer der seinerzeit größten Quilombo-Gemeinschaft des Landes, dem Quilombo dos Palmares im Bundesstaat Alagoas. Ein Quilombo ist eine Gemeinschaft von Afrikastämmigen, denen die Flucht von den Plantagen, aus den Gefängnissen und Sklavensiedlungen gelang, wo sie festgehalten wurden. Die Quilombos lagen zum Schutz der Gemeinschaft an schwer zugänglichen Orten, versteckt im Urwald. Viele von ihnen bestehen aufgrund ihrer geografischen Lage bis heute – die Palmares-Stiftung zählt heute in Brasilien etwa 1100 Quilombos. Der größte und wichtigste Quilombo der Kolonialzeit war der von Palmares, mit bis zu 30.000 Einwohnern, und wurde in dieser Zeit von Zumbi angeführt. Selbst im Quilombo dos Palmares geboren, wurde er von portugiesischen Missionaren entführt und aufgezogen. Im Alter von 15 Jahren entfloh er seinen Herren und kehrte zurück in seinen Quilombo. Schnell wurde aus ihm ein vielrespektierter Krieger. Als die Portugiesen dem Quilombo-Anführer Ganga Zumba im Tausch gegen die Unterwerfung der portugiesischen Krone den Frieden anboten, ging ein Riss durch die Quilombo-Führung. Auf der einen Seite stand Ganga Zumba, der die Abmachung akzeptierte, auf der anderen Zumbi, der sich Verhandlungen mit den Portugiesen verweigerte. Ganga Zumba wurde vergiftet und starb, und der zum Helden aufgestiegene Zumbi setzte den Kampf gegen die Kolonisatoren fort, bis er 1695 besiegt wurde. Man schlug ihm den Kopf ab, salzte ihn und stellte ihn in Recife öffentlich zur Schau, um auf exemplarische Weise zu zeigen, welch große Macht die Kolonisatoren besaßen und um die Gerüchte, denen zufolge Zumbi unsterblich und unbesiegbar gewesen sein sollte, zu zerstreuen.
Seit dieser Zeit ist der Name Zumbi dos Palmares zu einem Symbol des Schwarzen Widerstands, des Kampfes gegen die Sklaverei, und, heutzutage, des Kampfes gegen Rassismus und Diskriminierung geworden. Während der Woche rund um den 20. November gibt es in Brasilien und auf der ganzen Welt verschiedenste Initiativen, um die Öffentlichkeit für die Rolle der Afrikastämmigen in der Gesellschaft bewusst zu machen, und auf die unterschiedlichen Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt sind, aufmerksam zu machen.
Verglichen mit Brasilien, ist die Diskriminierung in Berlin nichts
Und wie wird in Berlin darüber nachgedacht? Werden Afrikastämmige diskriminiert? Laut Adauto de Souza Santos, besser bekannt als Ras Adauto, kann man in Berlin eine gewisse Diskriminierung spüren, die aber mit der beschämenden Lage in Brasilien nicht zu vergleichen ist. „Die Situation hier ist viel besser als die in Brasilien. Es gibt Diskriminierung – zum Beispiel in Form von Gewalttaten gegen Personen in Zügen, Bussen, oder Menschen die ihre Tasche festhalten, weil sie glauben, dass man als Schwarzer automatisch ein Dieb ist. Es gibt auch schwarze Frauen, die diskriminiert werden, sogar innerhalb der eigenen Familie. Aber alles in allem ist es viel ausgeglichener. Die Berliner Polizei lässt mich in Ruhe, anders als in Rio de Janeiro – dort wird man als normaler Fußgänger gleich verdächtigt“, sagt er. Adauto lebt seit elf Jahren in Berlin und arbeitet als Journalist für den Hamburger Radiosender Rádio Mamaterra und als Verantwortlicher für den Pressedienst des Vereins Nijinski Arts Internacional, e.V., die sich für die Integration von Auswandern und den Dialog zwischen den Kulturen einsetzt.
Adauto de Souza Santos, aka Ras Adauto. Foto (c) Diamantino Feijó.
„Das Problem des Schwarzen Bewusstseins ist nicht nur unser Problem, der Afrikastämmigen. Es ist ein weltweites Problem und sollte auf internationaler Ebene behandelt werden. In Brasilien gibt es Organismen, die diesen Punkt an die UNO herantragen. Es geht nicht um etwas, was die Gesellschaft spaltet, im Gegenteil, es ist immer mehr etwas, was die ganze Welt vereint, in einem Prozess des Bewusstwerdens, dass soziale Güter allen Menschen gehören.“
Die Idee ist, die Beteiligung aller anzuregen. „Alle müssen dazu beitragen, mitmachen. Wir wollen nicht die Weißen, Schwarzen und Indios trennen, sondern die ganze Welt vereinen. Es ist eine Politik der Schaffung eines sozialen Raumes, die die ganze Welt miteinschließt. Wir wollen, dass unsere Kinder Zugang zu all den Einrichtungen haben, zu denen auch die Kinder anderer Zugang haben. In Brasilien genießt ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung soziale Vorrechte, was viel Unmut hervorruft. Unmut in den Medien, oder Angriffe auf afrikanische Religionen von Seiten der evangelischen Kirche… Es ist ein sehr komplexes Problem. Schwarzes Bewusstsein bedeutet, den Zugang der Afrikastämmigen zu den Sozialgütern, die allen gehören, zu erleichtern.“
„In Brasilien gibt es dieses fiktive Bild, Rassendemokratie genannt, demzufolge die ganze Welt gleich ist. Aber wer dort lebt, merkt, dass dieser Mythos nicht existiert. Es gibt sehr viel Rassendiskriminierung in Brasilien. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie oft ich in Brasilien schon als Affe beschimpft wurde, seit ich klein war. Der Rassismus in Brasilien geht von Beschimpfungen als Affe bis hin zum Ausschluss der Afrikastämmigen aus der Teilhabe an der Gesellschaft. Die schwarze Bewegung in Brasilien ist gewachsen, ihr gegenüber steht jedoch noch immer ein starker Widerstand der brasilianischen Gesellschaft.“
Paradoxerweise existiert in Brasilien eine ganz eigene, auf afrikanischen Wurzeln beruhende Kultur, zu der auch die größten Exportschlager Brasiliens, die Musik und der Samba, gehören. „Es ist unmöglich, von brasilianischer Kultur zu sprechen, ohne gleichzeitig von der Existenz der schwarzen Gemeinschaft zu sprechen. Eine absurde Situation: Die Körper werden diskriminiert, aber die Aneignung der Kulturen nährt die ganze Gesellschaft.“
Adauto gehört dem Rat der brasilianischen Staatsbürger in Berlin an, welcher von der Botschaft koordiniert wird. „Wir wollen, dass die Frage des Rassismus Teil der Politik der brasilianischen Regierung in den Auslandsvertretungen wird. Nicht nur der Rassismus, den die Brasilianer zum Beispiel am Flughafen erleiden, sondern auch der Rassismus, den es in der brasilianischen Gemeinschaft selbst gibt. Manche Menschen sprechen zwar hier in Berlin mit mir, würden das aber in Brasilien nie tun. Der Rassismus ist präsent, auch unter den Auswanderern.“ Um die Probleme der brasilianischen Gemeinschaft in Berlin effektiv anzugehen, hat Adauto einen SOS-Rassismus-Service in Kreuzberg ins Leben gerufen, der Anzeigen entgegennimmt und die Diskussion über den Rassismus fördert, beispielsweise in Schulen, die von Kindern von Auswanderer und ethnischen Minderheiten besucht werden.
Schwarzes Bewusstsein durch Kenntnis der Geschichte Afrikas
Dieselbe Meinung teilt auch der Rapper Diamantino Feijó, der unter seinem Künstlernamen Mc Diamondog bekannt ist. In Angola geboren, wanderte er mit 19 Jahren nach Brasilien aus, wo er Journalismus und Politik an der Staatlichen Universität von Minas Gerais studierte. „Bevor ich in Brasilien lebte, hatte ich diesen Prozess, mich als Schwarzen zu bekennen, nie durchgemacht. Ich bin in Angola geboren, wo die Mehrheit der Bevölkerung schwarz ist und es niemand nötig hat, sich auf die Brust zu schlagen und sich geltend zu machen. Als ich 1999 wegen des Bürgerkriegs in Angola nach Brasilien kam, stieß ich auf Diskriminierung und Rassismus, die ich in dieser Form noch nie erlebt hatte, und ich wusste auch nicht, wie ich damit umgehen sollte. Das war ein echter Schock für mich.“ Sein Bewusstwerden war eine Reaktion auf die vorgefundene Realität. „Ich hatte keine Ahnung davon, dass es so viel Rassismus in Brasilien gab. Ich hatte diese Vorstellung von Brasilien als dem Bruderland, wie es in Angola gesehen wird. Aber in den zehn Jahren, die ich in Brasilien lebte, habe ich so einige qualvolle Situationen erlebt.“
Diamantino Feijó, aka Mc Diamondog. Foto (c) LMNZ.
Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, zog er gemeinsam mit seiner deutschen Frau nach Berlin. Er war zunächst auf Einladung des Vereins Weltfriedensdienst (WFD) gekommen, um Workshops im Rahmen des Projektes PeaceExchange in Polen und Deutschland zu geben. Er blieb schließlich in Berlin und machte seinen Master in Anthropologie an der Freien Universität Berlin. Hier, in Berlin, wurde er nie diskriminiert.
“Wenn man an Deutschland denkt, kommen einem als Erstes die nationalsozialistische Vergangenheit, die Rechtsextremen usw. in den Sinn. Ich bin ein wenig abergläubisch, daher möchte ich nicht darüber reden, was wohl in der Zukunft passiert, aber ich habe in Deutschland tatsächlich noch keine einzige Situation erlebt, in der ich diskriminiert wurde. Ich bin seit vier Jahren hier und kann mich persönlich bis jetzt über nichts beschweren.“ Und doch hat er gesehen, wie in der Stadt Araber und Türken diskriminiert werden.
Für Diamantino führt der Weg zur Debatte über das Schwarze Bewusstsein über das Lernen und die Kenntnis der Geschichte.
“In Angola haben wir die Weltgeschichte in der Schule durchgenommen – Geschichte Europas, Brasiliens, die Chinesische Mauer etc. Als ich nach Brasilien kam, bemerkte ich dass die Geschichte Afrikas nirgendwo eine Rolle spielte. Ich musste die Oberstufe in Brasilien wiederholen und habe an einer renommierten Universität studiert [die Staatliche Universität von Minas Gerais wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie als eine der besten in ganz Südamerika bewertet], von daher weiß ich wovon ich rede. Und über Afrika gab es nicht ein Fünkchen, das wurde nicht im Geringsten behandelt. Und dabei ist Brasilien weltweit das Land mit den meisten Afrikastämmigen. Wie kann es sein, dass in einem Land mit so einem hohen Anteil an schwarzer Bevölkerung deren Ursprünge nicht studiert werden? Warum haben die Menschen kein Interesse daran?“
Diese Überraschung ist umso größer, wenn man bedenkt, wie eng die Beziehungen zwischen Angola und Brasilien sind. „Die beiden Länder haben sehr enge freundschaftliche Beziehungen. Brasilien war das erste Land, das die Unabhängigkeit Angolas anerkannte. Und die meisten der Sklaven, die nach Brasilien kamen, waren Angolaner.“
„Dieses fehlende Interesse an der Geschichte Afrikas – Mosambiks, Angolas, der Kapverden und der anderen PALOP-Staaten [Afrikanische Staaten mit Amtssprache Portugiesisch], wenn diese Geschichte nicht in den Unterricht einfließt, wie kann man die Geschichte dieses Volkes als wertvoll anerkennen? Wie wird man die Menschen je als normal betrachten, wenn ihnen nicht einmal eine Vergangenheit zugestanden wird? Alle Welt sagt, ich bin portugiesischstämmig, ich bin italienischstämmig... Ein schwarzer Brasilianer weiß nicht, woher er stammt, ob aus Guinea-Bissau oder Angola. Viele Archive wurden nach der Abschaffung der Sklaverei verbrannt, damit die Weißen keine Entschädigungen an die ehemaligen Sklaven zahlen mussten. Also wissen die Menschen nicht einmal, woher sie ursprünglich kommen. Es müsste mehr Wert auf die Lehre der afrikanischen Geschichte gelegt werden, auf der ganzen Welt, aber vor allem in Brasilien.“
In Berlin wurde der Tag des Schwarzen Bewusstseins u.a. mit einer Party im ACUD gefeiert, organisiert von dem brasilianischen Verein M.A.C.U.M.B.A.
Text: Ines Thomas Almeida
Mit besonderem Dank an Johannes Reiss für die Übersetzung ins Deutsche.